Jeffrey Thomas (Interview)

Potrait von Jeffrey Thomas, aufgenommen von Colin Thomas

Michael Schmidt: Hallo Jeffrey, stell dich unseren Lesern doch mal vor!


Jeffrey Thomas: Ich bin ein amerikanischer Autor von phantastischer Literatur, der meistens Elemente verschiedener Genres in seinen Werken verwendet – von Science Fiction über Horror zu Weird Fiction und Hard Boiled Detektivromanen. Meine ersten Veröffentlichungen hatte ich in den Achtzigern bei kleineren Verlagen. Im Jahr 2000 veröffentlichte ich in schneller Folge zwei Geschichtensammlungen, eine davon war Punktown.

Punktown wurde so begeistert aufgenommen, dass der Weg für viele zukünftige Sammlungen und Romane frei wurde, darunter die Punktown-basierten Romane Deadstock und dessen Nachfolger Blauer Krieg. Deadstock war sogar Finalist für den Bram Stoker Award.




Michael Schmidt: Deine Punktown Geschichten sind sehr beliebt und mehr als nur ein Geheimtipp unter Weird Fiction Fans. Warum denkst du lieben die Leute Punktown?



Jeffrey Thomas: Punktown ist interessant für SF Leser, es spielt in einer fernen Zukunft, handelt von außerirdischen Rassen und bizarrer Technik. Andererseits beinhalten die Punktown Geschichten starke Horrorelemente und sind auch für Horrorleser gut geeignet. Punktown ist eine faszinierende Welt mit scheinbar unendlichen Möglichkeiten, die den Leser einlädt, immer wieder zurückzukehren, um diese Welt weiter zu erforschen. Und jede Punktown Geschichte existiert für sich selbst. Selten findet einer der Protagonisten den Weg von einer in die anderen Geschichten und somit erlebt der Leser immer wieder völlig neue und abgeschlossene Abenteuer, verbindendes Element ist einzig die Welt Punktown.

Auch sind die Protagonisten keine strahlenden Superhelden, sondern Personen mit Fehl und Tadel. Im Mittelpunkt der Punktown Geschichten steht nicht der galaktische Krieg, nicht die Rettung der Menschheit, sondern das Schicksal der Protagonisten an sich. Die „Helden“ arbeiten in Buchhandlungen und Cafes, Leute, mit denen sich jeder leicht identifizieren kann.

Der Leser soll das Gefühl haben: „So fühlt es sich an, wenn ich in Punktown leben würde.“

Die einzigen außergewöhnlichen Personen, denen man normalerweise nicht begegnet, sind Detektive oder Verbrecher. Dafür sind die Abenteuer natürlich außergewöhnlich.


Michael Schmidt: In Deutschland wurde bisher Punktown– Geschichten einer Stadt (Geschichtensammlung) und MonstroCity (Roman) veröffentlicht. Eine weitere Geschichte erschien im Magazin Pandora. Alle sind großartig, aber für mich sind die Kurzgeschichten ein Hauch aufregender. Was denkst du ist der Hauptunterschied zwischen Kurzgeschichten und Romanen aus der Perspektive von Punktown?
 


Jeffrey Thomas: Ich denke die Attraktivität der Kurzgeschichte liegt in der viel größeren Variationsmöglichkeit. Es ist wieder das Gefühl der unbegrenzten Möglichkeiten und der Gesamteffekt hat etwas von einem Mosaik, das sich aus all den kleinen Steinen (Kurzgeschichten) zusammensetzt. Ein Roman muss sich natürlich auf einen Hauptcharakter konzentrieren und  bietet einen zusammenhängenden Handlungsablauf. Romane belohnen den Schriftsteller, denn sie geben ihm mehr Bewegungsfreiheit und die Möglichkeit, seinem Protagonisten eine größere Tiefe zu verleihen sowie einen komplexeren Handlungsrahmen zu konstruieren.

Leserinnen und Leser genießen es, eine längere Zeit in den Schuhen des Hauptcharakters zu wandeln und zu sehen, wie sich eine komplexe Handlung entfaltet. Beide Ansätze haben ihre Vorteile. In einigen meiner Punktown Romanen, wie Deadstock und Everybody Scream! habe ich versucht, mich auf eine größere Reihe von Charakteren zu konzentrieren, um damit die Vielfalt auch in Romanform zu transformieren, für die Punktown als Stadt und auch als Genremix steht.



Michael Schmidt: Kurzgeschichten haben es nicht einfach auf dem Buchmarkt zwischen all den Romanen mit tausenden von Seiten. Warum denkst du ist die Kurzgeschichte eine aufregende Sache, die man Lesen sollte?


Jeffrey Thomas: Meiner Meinung nach sind Horrorgeschichten am Effektivsten im Kurzgeschichtenformat. Vielleicht weil sie in der Tradition der Gute-Nacht Geschichte oder den Lagerfeuergeschichten stehen.

Prägnant und konzentriert ist eine erfolgreiche Kurzgeschichte wie ein winziger strahlender Diamant. Umgekehrt gibt es zu viele Romane, die Berge voll funkelnder Alufolie sind. Es ist schwieriger, Horror, oder ein Gefühl des Staunens, eine Atmosphäre des Seltsamen und Unheimlichen, im Laufe einer längeren Geschichte zu erhalten. Der Horror kann zu vorhersehbar werden, oder er wird zur Gewohnheit, weil sich die gruseligen Ereignisse aneinanderreihen und sich in ihrer Wirkung abschwächen. Natürlich ist das die Herausforderung, vor der ein Romanautor steht: Genau das nicht aufkommen zu lassen.

Aus welchen Gründen auch immer, der durchschnittliche Leser bevorzugt einen Roman, besonders lächerlich lange Romane, ich will gar nicht von all den aufgeblasenen Serien sprechen, und so ist es einfacher, Romane an große Verlage zu verkaufen. Und genau hier liegt die Bedeutung der unabhängigen, kleinen Verlage. Segne Sie, genau dort erscheinen all die Kurzgeschichtensammlungen und Anthologien mit diesen strahlenden Diamanten.

Wie auch immer, während ich auch einen guten Roman liebe, besteht meine Lesestoff in letzter Zeit fast ausschließlich aus Kurzgeschichten. Aktuell lese ich parallel The Weird, herausgegeben von Ann und Jeff VanderMeer, Vermilion Sands von J. G. Ballard, und eine Kurzgeschichtensammlung von Clark Ashton Smith.


Michael Schmidt: Ich folge dir auf Facebook und hatte deine Ankündigung von Year’s Best Weird Fiction, Volume 1 gesehen. Was ist das, welche Autoren sind enthalten und besteht die Möglichkeit einer deutschen Übersetzung?


Jeffrey Thomas: Diese Reihe wurde von Undertow Publications ins Leben gerufen, Herausgeber ist Michael Kelly. Für jede Ausgabe hat er einen Gastherausgeber, damit bleiben Inhalte und Mitwirkende abwechslungsreich, ein hervorragender Ansatz. (Zu viele Year´s Best Anthologien bringen immer wieder den gleichen Mix, Jahr für Jahr, mit viel zu wenig frischem Blut). Die erste Ausgabe von Year’s Best Weird Fiction, erschienen 2014, stand unter der Herausgeberschaft von Laird Barron und enthielt meine Geschichte In Limbo.

Ausgabe 2 ist jetzt ebenfalls erhältlich. Gastherausgeber ist Kathe Koja, enthalten ist eine Geschichte des exzellenten Nathan Ballingrud, neben vielen anderen, lesenswerten Autoren. Ausgabe 3 wird von Simon Stranzas betreut.

Von Ausgabe 1 ist eine italienische Ausgabe geplant, aber über eine deutsche Übersetzung ist mir nichts bekannt. Das wäre aber eine coole Sache!



Michael Schmidt: Du hast bei Festa zwei Romane veröffentlicht die in der Hölle spielen. Tagebuch aus der Hölle (Letters from Hades) und  Der Untergang der Hölle (The Fall of Hades). Sind weitere Geschichten geplant und wie kam es zu der Idee, Abenteuer in der Hölle spielen zu lassen?
 


Jeffrey Thomas: Ich habe keinen Vertrag für weitere Hades Geschichten, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Es gibt noch die Novelle Beautiful Hell und die Kurzgeschichtensammlung Voices From Hades (beide erschienen bei Dark Regions Press) die in meiner Version der Hölle spielen. Außerdem hat Dark Regions gerade meine neue Hades Novelle Acheron gekauft, diese ist geplant für die Anthologie I Am the Abyss, mit Geschichten von Laird Barron, Michael Marshall Smith, und anderen herausragenden Autoren. Das Konzept der Hölle hat Millionen von Menschen fasziniert und gleichermaßen erschreckt und das schon seit Anbeginn der Zeiten. Für viele birgt sie eine Realität. So mache ich genau das – mit dem Unterschied, ich will niemand davon überzeugen, dass der Hades wirklich existiert.

Der Hades bietet einen fruchtbaren Boden für die Phantasie, und dient auch sehr schön als eine Metapher für die Welt der Sterblichen. Wir alle im täglichen Kampf mit den Herausforderungen. Die Charaktere kämpfen mit den Widrigkeiten, stellen sich ihren Dämonen und versuchen doch alle, ein Gefühl von Würde und Integrität zu bewahren, genau wie wir Normalbürger im täglichen Leben, auch wenn die Protagonisten in meinen Geschichten ihr Heil verweigert bekommen. 


Michael Schmidt: Es gibt bei Festa noch ein Band deiner Cthulhu Mythos Stories bei Festa. Punktown wurde ebenfalls von Lovecraft inspiriert. Ich vermute du bist ein großer Lovecraft Fan. Warum ist Lovecraft auch in unseren modernen Zeiten noch so beliebt, Internet und all den modernen Errungenschaften zum Trotz?
 


Jeffrey Thomas: Ja, Festa sammelte viele meiner Lovecraft-inspirierten Stories in dem Band Geschichten aus dem Cthulhu-Mythos. Punktown ist nicht wirklich von Lovecraft inspiriert, das sieht man darin, dass ich Punktown 1980 erdacht habe, aber erst 1985 damit begann, Lovecraft zu lesen. Aber ein paar meiner Punktown Romane und Kurzgeschichten verwenden einige von Lovecrafts Ideen. (Ich möchte betonen, dass nicht alle meine Punktown Geschichten Lovecraft Elemente enthalten. Schließlich möchte ich nicht die Erwartungen der Leser enttäuschen.)

Als ich anfing Lovecraft zu lesen war ich begeistert von seiner Originalität und dem Überbau seines Universums und seitdem ist er mein Lieblingshorrorautor geblieben.

Seine fiebrige Phantasie und der kosmische Schrecken, den er beschrieb, begeistern mich immer noch und machen, so denke ich, seine Popularität bei den Lesern aus. Seine Großen Alten sind Außerirdische und haben nicht wirklich viel mit übernatürlichen Ereignissen zu tun.

Er war eine Marke, die frischen Wind reinbrachte in ein Genre, in dem seit unzähligen Zeiten Geister, Vampire und Dämonen herrschten. Nicht, dass diese Viecher nicht mehr fortbestehen, keineswegs.


Michael Schmidt: Sind weitere Veröffentlichungen auf Deutsch geplant?


Jeffrey Thomas: Nicht jetzt, obwohl meine Kurzgeschichte Dust in der bevorstehenden Anthologie Extrem Horror des Festa Verlages erscheinen wird. Mit Festa zusammen zu arbeiten ist immer eine tolle Sache, das möchte ich ausdrücklich betonen. Ich würde mich auf jeden Fall freuen wenn weitere meiner Geschichten ins Deutsche übersetzt würden.



Michael Schmidt: Ich denke du hast eine Menge Geschichten veröffentlicht. Wie viele Bücher sind das und hast du einen persönlichen Favorit?


Jeffrey Thomas: Ich habe über dreißig Bücher veröffentlicht, aber manche davon sind in diversen Ausgaben erschienen: Gebundene Ausgabe, Taschenbuch, E-Book oder teure Sammlerausgaben. Und dann sind da Bücher die wurden übersetzt und erschienen in Deutschland, Russland, Griechenland, Polen und Taiwan. Es ist schwer aus meinen Kindern da einen Favoriten rauszupicken. Wenn ich das für Sammlungen eingrenzen würde, dann wären Punktown, Ghosts of Punktown, und Thirteen Specimens meine Lieblinge. Bei den Romanen wären das Boneland, Letters From Hades (Tagebuch der Hölle), und Subject 11.



Michael Schmidt: Es gab da vor ein paar Jahren eine Bewegung namens „New Weird Fiction”. Ist diese noch aktuell und was ist der Unterschied zur traditionellen Weird Fiction?


Jeffrey Thomas: Viele würden behaupten, der Begriff war niemals anerkannt. Es war Teil einer Panel Diskussion auf dem letzten NecronomiCon in Providence, Rhode Island.

Es wirkt ein wenig selbstsüchtig, dass eine Reihe von Autoren den Begriff New Weird verwendet, um ihre Arbeit zu beschreiben, aber ich kann den Wunsch verstehen, die traditionellen Grenzen der Science Fiction, Fantasy und des Horrors zu trotzen und etwas darüber hinausgehendes zu beschreiben. Das war mein Grund - erneut, vielleicht ein wenig selbstsüchtig – den Begriff New Weird zu verteidigen, seit meine Punktown Universum unter diesem Etikett eingeordnet wurden.

Das Problem ist, das ein neuer Begriff zwar alte Mauern einreißt aber gleichzeitig neue erschafft. Wenn nur mehr Leser bereit wären, die Grenzen außerhalb ihrer Lesegewohnheiten zu erkunden und sich auf neues Terrain wagen würden. Idealerweise würden wir keine klaren Genregrenzen haben.

Inwiefern New Weird sich von Weird Fiction unterscheidet…Alles was man in Weird Fiction findet sollte eigentlich auch in New Weird zu finden sein, aber Geschichten die mit dem Begriff New Weird assoziiert werden, haben einen ganz bestimmten Touch. Typischerweise kombinieren sie SF, Fantasy und Horror in großen Portionen, ein kunstvoll erschaffenes phantastisches Setting, meistens in städtischer Umgebung beheimatet. So kann man schnell erkennen warum Punktown als New Weird bezeichnet wurde. Aber als ich mit Punktown begann, war der Begriff New Weird noch lange nicht in Sicht. Zur Einordnung: Ich schuf Punktown zwei Jahre bevor der Begriff „Cyberpunk“ 1982 aufkam. Punktown ist eindeutig mein sehr eigenes Genre.



Michael Schmidt: Okay, vielen Dank für deine ausführlichen, erhellenden und sehr lesenswerten Antworten. Zum Schluss ein paar Worte an deine deutschen Leser!


Jeffrey Thomas: Meine deutschen Leser waren sehr begeisterungswürdig und treu über die Jahre. Ich schätze sie sehr! Viele von Ihnen sind mit mir auf Facebook befreundet und so bin ich vielen meiner deutschen Fans sehr nahe, da geht es mir wie YouTube Video Produzent Nicolas Huck. Ein paar meiner Bücher haben sich auf Deutsch besser verkauft als die englischen Ausgaben, und drei meiner Punktown Sammlungen wurden als wunderbares Hörbuch bei Lausch veröffentlicht. Ich bin sehr dankbar für all das, und ich hoffe, dass zu den schon vorhanden Übersetzungen noch viele dazu kommen, damit ich meine Geschichten auch weiterhin mit meinen deutschen Fans teilen kann.

Das Interview findet sich gedruckt im Magazin Zwielicht 8.


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